Mauerfall
Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 zählte zu den glücklichsten Ereignissen in der deutschen Geschichte. Foto: By Lear 21 at English Wikipedia, CC BY-SA 3.0,

35 Jahre Mauerfall – Geschichte einer magischen Nacht

Am 9. November 1989 fiel völlig überraschend die Berliner Mauer.

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„Solch dramatisch geballten, solche schicksalsträchtigen Stunden, in denen eine zeitenüberdauernde Entscheidung auf ein einziges Datum, eine einzige Stunde und oft nur eine Minute zusammengedrängt ist“, nannte Stefan Zweig Sternstunden der Menschheit. Unbedeutende Menschen betätigen in diesem Moment die Schalthebel des Zeitenlaufs und werden dann wieder vergessen. Wer kennt noch Riccardo Ehrmann und Harald Jäger? Chronik eines historischen Wunders.

Am 4. November 1989 war der Alexanderplatz im damaligen Ost-Berlin schwarz vor Menschen. Zwei örtliche Theater-Initiativen hatten zu einer Demonstration für Meinungs- und Versammlungsfreiheit mobilisiert, dem Aufruf sollen nach Schätzungen des Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk bis zu 200.000 Bürger gefolgt sein. Unter den Rednern waren Schauspieler wie Ulrich Mühe oder Jan Josef Liefers, Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley oder Marianne Birthler, Autoren wie Christa Wolf oder Stefan Heym, spätere PDS-Größen wie Gregor Gysi und Lothar Bisky, aber auch Vertreter der SED-Nomenklatura wie das Politbüromitglied Günter Schabowski (der freilich erst fünf Tage später seinen ganz großen Auftritt haben sollte) oder Stasi-Generaloberst a. D. Markus Wolf.

Für jeden, der auch nur bis drei zählen konnte, war deutlich sichtbar, dass der in Agonie und Auflösung befindliche Arbeiter- und Bauernstaat mit dieser Großveranstaltung seine Existenz retten wollte. Symptomatisch für die ganze Versammlung war eine Aussage des Theologen Friedrich Schorlemmer, der betonte: „Seien wir tolerant und gerecht gegenüber den alten und neuen politischen Konkurrenten, auch einer sich wandelnden SED!“ Das Echo auf diese Veranstaltung folgte schnell und war denkbar durchschlagend: Es war der Mauerfall vom 9. November 1989, mit dem der Horizont einer fortbestehenden DDR verblasste und die Forderung nach der deutschen Einheit massiv Auftrieb erhielt.

Steigender Druck im Kessel

Doch was passierte wirklich in dieser magischen Nacht, die zu den glücklichsten Stunden des deutschen Volkes zählt? Wenn man diese Frage beantworten will, dann muss man sich vor allem den massiven Druck vergegenwärtigen, unter dem die damalige DDR-Spitze stand. Immer drängender stellte sich die Frage, wie man mit dem überbordenden Wunsch der eigenen Bürger nach Reisefreiheit umgehen sollte. Die einzige Möglichkeit zur Stabilisierung der DDR wäre wohl eine „nordkoreanische Lösung“ gewesen, also die rigorose Abschnürung der DDR auch noch von allen benachbarten Ostblockländern. Und tatsächlich setzte die DDR-Führung zwischenzeitlich auf genau diese harte Linie. Schon am 4. Oktober 1989 hatte die DDR-Regierung noch unter Erich Honecker, der zwei Wochen später durch Egon Krenz als SED-Generalsekretär und wenig später dann auch als Staatsratsvorsitzender abgelöst wurde, auf die massive Ausreisebewegung mit einer Schließung der Grenzen zur Tschechoslowakei und zu Polen reagiert.

DDR
Die DDR-Staatsführung beobachtete am 7. Oktober 1989 die NVA-Ehrenparade zum von Massenprotesten begleiteten 40. Jahrestag der Staatsgründung. Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-1989-1007-402 / Franke, Klaus / CC-BY-SA, CC BY-SA 3.0 de

Diese drakonische Maßnahme führt aber nur einige Tage später zu den ersten Großdemonstrationen, da durch die wegfallenden Möglichkeiten der Ausreise der Druck im Kessel erheblich ansteigt. Der DDR-Führung wird schnell klar, dass man die Demonstranten nicht mit Panzern niederwalzen kann, da auch Armee und Polizei zu diesem Zeitpunkt einen Schießbefehl wohl nicht mehr befolgt hätten. Also muss man eine neuerliche Kehrtwende hinlegen und erlaubt ab dem 1. November 1989 den DDR-Bürgern wieder die Ausreise über die Tschechoslowakei. Dies führt nun dazu, dass das „sozialistische Bruderland“ an der Südgrenze der DDR tagtäglich mit Tausenden von mitteldeutschen Flüchtlingen konfrontiert ist und deshalb nun seinerseits mit einer einseitigen Grenzschließung droht. Die Frage eines neuen Reisegesetzes hat für die SED-Spitze plötzlich oberste Priorität.

Montagsdemonstration Leipzig Einheit
Montagsdemonstration in Leipzig vom 23. Oktober 1989. Die großen Demonstrationen in der DDR im Oktober 1989 waren eine entscheidende Vorbedingung für den Mauerfall. Foto: on Bundesarchiv, Bild 183-1989-1023-022 / Friedrich Gahlbeck / CC-BY-SA 3.0.

Diese kommt in ihrer Not nun auf die eigentlich absurd anmutende Idee, eine zentrale Ausreisestelle am damaligen Dreiländereck DDR/Tschechoslowakei/Bundesrepublik Deutschland, also im Vogtland, zu schaffen, durch die jeder in die BRD ausreisen können sollte – der Haken war nur, dass keine Rückkehr mehr vorgesehen war. Mit der konkreten Ausarbeitung des Gesetzentwurfs wird eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Gerhard Lauter, dem Hauptabteilungsleiter für Pass- und Meldewesen im Innenministerium, beauftragt.

Ein kühner Gesetzesentwurf

Diese aus vier Personen bestehende Gruppe trifft sich am Morgen des 9. November 1989 im DDR-Innenministerium in Ost-Berlin. Obwohl auch zwei Vertreter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) anwesend sind, ist man sich schnell einig, dass die vom Politbüro vorgegebene Richtung des zu schaffenden neuen Reisegesetzes die Lage im Land nicht beruhigen kann und von den Bürgern als Provokation aufgefasst würde. Gemeinsam erarbeitet man nun unabhängig von den Vorgaben des Politbüros einen Gesetzentwurf, der grundsätzliche Ausreisefreiheit für jeden DDR-Bürger vorsieht – allerdings erst nach Genehmigung eines Visums und eines Reisepasses durch die örtliche Passstelle. Für den Entwurf legt die Arbeitsgruppe eine Nachrichtensperre bis zum 10. November um 4.00 in der frühen Nacht fest.

Gerhard Lauter ist sich nicht sicher, ob er wegen dieses kühnen Vorschlags nicht noch mit Repressionen zu rechnen haben wird. Er bringt den Entwurf am Mittag des 9. Novembers dennoch zu seinem Fahrer, der das Papier schnellstmöglich in das nur wenige 100 Meter entfernte Haus am Werderschen Markt bringen soll, in dem damals das Zentralkomitee der SED untergebracht ist. In dem Gebäude findet an diesem 9. November 1989 der zweite Tag der 10. Tagung des Zentralkomitees der SED statt, an dem sich 200 führende Genossen beteiligen. Erstmals gibt es hitzige und ausdauernde Debatten, da viele Funktionäre gemerkt haben, wie sehr sich die Stimmung im Land mittlerweile gegen sie gewendet hat.

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Der neue Generalsekretär Egon Krenz ist deshalb abgelenkt, als ihm der Entwurf der Arbeitsgruppe von Gerhard Lauter in die Sitzung gereicht wird. Krenz verliest den Entwurf in einer Kaffeepause, in der nur etwa die Hälfte der Mitglieder des Politbüros anwesend ist. Die dramatische Änderung, die Lauter und seine Leute vorgenommen haben, wird in dem Trubel gar nicht recht wahrgenommen, viele Funktionäre wollen auch möglichst rasch zurück in den Hauptsaal, wo die Debatten toben. Auch Krenz ist in großer Eile, weil er um 14:30 Uhr im Staatsratsgebäude den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau empfangen muss. Gegen 16:00 Uhr kehrt er in das ZK-Gebäude zurück. Hier steht jetzt die Abstimmung im Ministerrat an, dem formal zuständigen Gremium für Gesetzesbeschlüsse.

Der Vorsitzende Willi Stoph, ein verdienter Altkader, hat die Beschlussvorlage an die Mitglieder weitergeleitet. Aber auch hier debattiert man erst langatmig über Wirtschaftsreformen, bis man zur Reform des Reiserechts kommt, die relativ schnell durchgeht. Wichtig ist auch, dass der Politbüro-Pressesprecher Günter Schabowski an beiden Sitzungen nicht teilnimmt, weil er Journalisten betreut – etwas, was zuvor bei SED-Großveranstaltungen nie gemacht wurde. Als Schabowski gegen 17:00 Uhr endlich wieder den Tagungssaal des ZK-Gebäudes betritt und neben Egon Krenz Platz nimmt, schiebt dieser den Entwurf mit der Bemerkung zu ihm hinüber, nun habe er etwas für die Pressekonferenz.

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■ Arne Schimmer

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