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Wie kaum ein zweites Volk waren die Deutschen im 20. Jahrhundert von Kriegen, Vertreibungen, Gräueltaten, Gebietsabtrennungen und Flächenbombardierungen betroffen. Hier stellt sich besonders eindringlich die Frage, wie ein solches Volk mit seinen Toten umgeht, die millionenfach im Felde blieben oder im Zuge der Vertreibung und des Bombenkrieges einen oft grausamen Tod starben. Die Antwort fällt leider häufig beschämend aus.
1919 schlug der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge einen Volkstrauertag als Gedenktag für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs vor. 1922 fand die erste Gedenkstunde im Reichstag statt, allerdings versandeten während der Zeit der Weimarer Republik diverse Bemühungen, den Volkstrauertag zum gesetzlichen Feiertag zu erklären. Dies führte dazu, dass einige Länder von sich aus aktiv wurden, so führten Thüringen und das unter Völkerbundsverwaltung stehende Saargebiet 1931 den Volkstrauertag am Sonntag Reminiscere (das ist der fünfte Sonntag vor Ostern) als Feiertag ein.
Gedenktag in zwei Systemen
Am 2. Juni 1931 – also noch in der Zeit der Republik – weihte die Reichsregierung das zentrale Gefallenenehrenmal in der von Schinkel entworfenen Neuen Wache in Berlin Unter den Linden ein, am 27. Februar 1934 bestimmte die dann schon unter der Leitung Adolf Hitlers stehende Reichsregierung den Sonntag Reminiscere zum „Heldengedenktag“ und zum staatlichen Feiertag.
Nach dem Krieg einigten sich 1952 in der jungen Bundesrepublik das Bundesinnenministerium und die Bundesländer darauf, den zweiten Sonntag vor dem Ersten Advent einheitlich zum Volkstrauertag zu bestimmen. Die DDR führte einen Gedenktag für die Opfer des Faschismus ein, der bis 1966 auf den 12. September und danach auf den 10. September fiel, in dem die Getöteten und Gefallenen aber wieder selektiert wurden – als gedenkenswert galt nur derjenige, der gegen „den Faschismus“ gekämpft hatte.
In den frühen Jahrzehnten der Bundesrepublik spielte der Volkstrauertag eine große Rolle im Feiertagskalender. Die Radiosender spielten den ganzen Tag ernste, häufig klassische Musik und das Programm des öffentlichen Fernsehens war auf die Gedenkfeier des Volksbundes ausgerichtet. Auch junge Menschen, die den Krieg selbst nicht mehr bewusst erlebt hatten, wurden so mit Themen wie Tod, Vergänglichkeit, Schicksal und der eigenen Sterblichkeit konfrontiert.
Umdeutung eines Gedenktags
Dies begann sich in den neunziger Jahren radikal zu ändern. Soldaten durften laut Bundesverfassungsgerichts-Urteil als „Mörder“ bezeichnet werden, die Zahl der geschändeten Gefallenenehrenmale nahm inflationär zu und die öffentlich-rechtlichen Anstalten richteten ihr Programm bei weitem nicht mehr so stark am Volkstrauertag aus wie noch in früheren Zeiten.
Außerdem wurde der Volkstrauertag umgedeutet zu einem allgemeinen Gedenken gegen Krieg und Gewaltherrschaft, was freilich überhaupt nicht mehr den Wurzeln entsprach, aus denen heraus er einstmals in der Weimarer Republik eingeführt wurde. Das abstrakte und institutionalisierte Gedenken, das heute gefördert wird, geht freilich eine Vielzahl der Menschen nichts mehr an, die eigenen Opfer gehen in der Masse der Toten, denen gedacht werden soll, unter.
■ Arne Schimmer
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