El Salvador Bukele
Bild: Nayib Bukele, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons

El Salvador: Der Krypto-Präsident

Präsident Nayib Bukele will sein Land zum „Modell für die Welt“ machen

Bundeskanzler Olaf Scholz hat möglicherweise nicht einmal den Namen des Mannes gekannt, der an jenem 21. September 2022 während der 77. Sitzung der UN-Generalversammlung kurz vor ihm sprach. Dabei haben die Auftritte des Regierungschefs von El Salvador vor den Vereinten Nationen durchaus Kultcharakter. 

Kurz nach seiner Amtseinführung im Juni 2019 machte der frischgebackene Präsident ein Selfie und verkündete, das werde mehr Leute interessieren als seine Rede. Im Herbst vergangenen Jahres wiederum verkündete Bukele, dass er die UN zwar überflüssig finde, er aber alle Zuhörer in sein „Land des Surfens und des Bitcoins“ einlade. Wer nun annimmt, dass es sich um einen Polit-Clown aus einem der vielen dysfunktionalen Länder des globalen Südens handelt, der täuscht sich. Vielmehr repräsentiert Nayib Bukele einen neuen Typ charismatischer Herrschaft, der schon beginnt, über die Grenzen seines eigenen kleinen Staates hinaus Ausstrahlungskraft zu entfalten.

Vom Liebling der Linken zum linken Feindbild

Der Unternehmersohn nährt in vielen Ländern Lateinamerikas eine gewaltige Hoffnung. Man traut ihm zu, den Teufelskreis zu durchbrechen, in dem viele Staaten der Region gefangen sind. Dieser besteht darin, zwischen den Mühlsteinen einer geistig verbrauchten Linken mit ihren überholten Sozialismus-Konzepten sowie einer US-hörigen Rechten zermahlen zu werden. Dieses Schicksal hat El Salvador immer mit besonderer Härte getroffen. Man denke nur an den blutigen Bürgerkrieg zwischen kommunistischen Milizen und dem Militär, der zwischen 1980 und 1991 tobte und 70.000 Todesopfer forderte. Der heutige Regierungschef wurde am 24. Juli 1981 als Sohn eines aus dem Libanon stammenden christlichen Palästinensers, der später zum Islam konvertierte, geboren. Bukele selbst ist übrigens konfessionslos, bezeichnet sich aber als gläubig. Sein Jurastudium brach er ab, um in der Werbeagentur seines Vaters zu arbeiten. Erste kommunalpolitische Sporen verdiente er sich ab 2012 als Bürgermeister der kaum 8.000 Einwohner zählenden Kleinstadt Nuevo Cuscatlán, wo er sein Gehalt spendete, um begabten Schülern über einen Stipendienfonds zu einem Studium zu verhelfen. Drei Jahre später dann ein erster Paukenschlag. Überraschend gelingt Bukele 2015 der Wahlsieg zum Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador. 2016 taucht die Metropole zwar noch einmal im Guinness-Buch der Rekorde als Stadt mit der höchsten Tötungsrate der Welt auf, doch danach geht die Zahl der Morde stark zurück. Noch setzt er sein Sicherheitsprogramm mit relativ milden Mitteln um und lässt beispielsweise Parks und Plätze mit neuen Straßenlaternen hell erleuchten. Als Kandidat der marxistischen FMLN ist der charismatische Politiker damals ein Liebling der deutschen Linken. „Ein junges Gesicht unter den alten Guerillakommandanten“, jubelt 2015 beispielsweise die „taz“. Doch Bukele ist keiner von ihnen. Das merkt auch die FMLN bald, die den Polit-Aufsteiger wegen ideologischer Abweichlerei im Oktober 2017 ausschließt. Dieser gründet daraufhin die Bewegung Nuevas Ideas und schließt sich der moderat konservativen GANA-Partei an, für die er im Februar 2019 – wieder überraschend – mit einem Ergebnis von 53,8 Prozent die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Es sind vor allem zwei Ereignisse, die den jungen Präsidenten in den kommenden drei Jahren weltbekannt machen.

Das Krypto-Experiment

So erhebt El Salvador im September 2021 als erstes Land der Welt den Bitcoin zum gesetzlichen Zahlungsmittel. Zwei Millionen Bürger, viele davon ohne eigenes Bankkonto, laden sich die staatliche Krypto-App Chivo herunter, um darüber gebührenarme Zahlungen ihrer Verwandten aus dem Ausland zu erhalten. Geschäfte und öffentliche Einrichtungen werden dazu angehalten, Möglichkeiten zum Bezahlen mit dem Bitcoin zu schaffen. Tatsächlich steigt die Zahl der Touristen in dem kleinen Land laut den Angaben der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“ im November und Dezember 2021 sofort um 30 Prozent auf 1,4 Millionen. Im Surfer-Mekka El Zonte, das sich heute als „Bitcoin Beach“ bezeichnet, erhalten Gäste von Hotels und Cafés bis zu 75 Prozent Nachlass, wenn sie mit der Kryptowährung bezahlen. Rund um den Vulkan Conchagua soll eine weitere Bitcoin-Stadt entstehen. Die Energie für das Schürfen neuer Coins soll dabei durch ein Geothermie-Kraftwerk geliefert werden. Obwohl der Bitcoin-Kurs seit September 2021 stark gesunken ist, kam es nicht zu der von manchen Beobachtern vorhergesagten Staatspleite El Salvadors. Schlagend würden die Verluste ja nur, wenn man sie realisieren würde – das hat die Regierung aber nicht vor. Mittlerweile haben mit Panama und der Zentralafrikanischen Republik sogar zwei weitere Staaten den Bitcoin zu ihrem offiziellen Zahlungsmittel gemacht. Das hat vor allem einen Grund: Kryptowährungen erlauben es gerade armen Staaten, die halsabschneiderischen Gebühren zu umgehen, die viele Banken ihren Kunden bei Überweisungen in solche Länder sonst abknüpfen. Dieser Vorteil wiegt andere Nachteile wie die hohe Volatilität von Kryptowährungen wieder auf.

Das ist das eine Vermächtnis, das Bukele schon hinterlassen hat, das andere befindet sich in der ländlichen Gemeinde Tecolula:

Krieg gegen die „Maras“

Hier steht das größte Gefängnis Lateinamerikas, das Platz für 40.000 Häftlinge bietet. So will der Präsident der „Maras“ Herr werden. Das sind die brutalen und gefürchteten Banden, die schon jedem Kind in den USA ein Begriff sind und die den zentralamerikanischen Staat zum Land mit der höchsten Mordrate der Welt gemacht haben. Seit das Parlament El Salvadors im März 2022 den Ausnahmezustand verhängte, können deren Mitglieder auch ohne Haftbefehl festgenommen werden. Nachdem im zweiten Halbjahr 2019 der erste Tag ohne Tötungsdelikt seit Jahrzehnten verzeichnet worden war, berichtet der Präsident fast tagtäglich unter dem Hashtag #plancontrolterritorial über Fortschritte auf dem Gebiet der inneren Sicherheit. Der Grundgedanke des Territorialplans besteht darin, mehr Ordnungskräfte in jene Gemeinden zu entsenden, die von Gewalt besonders stark betroffen sind. Dabei bleibt es aber nicht: Bukele ordnete auch regelrechte militärische Großoperationen an, um völlig von der Bandenkriminalität beherrschte Orte wieder zurückzuerobern. In Soyapango, einem für seine ausufernde Gewaltkriminalität berüchtigten Vorort der Hauptstadt San Salvador, wurden im Herbst vergangenen Jahres beispielsweise 10.000 Soldaten und Polizisten zusammengezogen. Diese durchkämmten dann systematisch Haus für Haus und tätigten zahlreiche Festnahmen. Westliche Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen toben wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen. Für die Bürger vor Ort hingegen ist oft nur wichtig, dass eine jahrzehntelange Dominanz von Banden wie der „MS-13“ und der „Barrio 18“ endlich aufgebrochen wird oder sie sich erstmals in ihrem Leben sicher fühlen, wenn sie auf die Straße gehen.

Eigenständigkeit zahlt sich aus

Auch außenpolitisch beschreitet Bukele einen interessanten Kurs. Er pflegt freundschaftliche Beziehungen zu China, das in El Salvador seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten massiv investiert. Im Zentrum San Salvadors entsteht gerade eine von der Volksrepublik finanzierte futuristische neue Nationalbibliothek, die den alten Betonbau ersetzen wird. Außerdem errichten die Chinesen in der Hauptstadt ein neues Krankenhaus. Andererseits hält Bukele auch gute Kontakte zu dem Musk-Intimus und Paypal-Gründer Peter Thiel. Auf dessen alljährlicher Krypto-Konferenz in Miami kündigte der Präsident 2021 an, dass sein Land die Kryptowährung als offizielle Währung einführen werde. Der eigenständige Weg, den El Salvador geht, weckt bei den Nachbarn schon Interesse. So hat Honduras, das ähnlich schwer unter Bandenkriminalität leidet wie El Salvador, angekündigt, ebenfalls eine „Strategie der harten Hand“ zu verfolgen und in Teilen des Landes den Ausnahmezustand verhängt. Die Zustimmung für Bukele bei seinen Landsleuten ist in Umfragen derweil auf 91 Prozent gestiegen. In die Geschichtsbücher seines Landes, das zu einer ewigen Tragödie verdammt zu sein schien, hat er sich jedenfalls jetzt schon eingetragen. Dies liegt vor allem daran, dass er den Bürgern etwas gibt, was ihnen fast immer gefehlt hat, nämlich Hoffnung. Gut möglich, dass er eines Tages sogar sein größtes Versprechen einlöst: In Zukunft soll nämlich keiner der Bürger seines Staates mehr dazu gezwungen sein, sein Land aus purer Not verlassen zu müssen.   

■ Arne Schimmer

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