Schlacht bei Königgrätz

Schlacht von Königgrätz: DER 66-JAHRESPLAN

Was uns die Schlacht bei Königgrätz über die Hintergrundpolitik verrät

Zur Erholung vom zerstreuenden „Infotainment“ tut es gut, sich gelegentlich alter historischer Kompendien anzunehmen. Der Autor tat dies in den vergangenen Weihnachtsferien: „Der Antheil des Königlich Sächsischen Armeecorps am Feldzuge 1866 in Österreich“ aus dem Jahr 1869 inspirierte ihn zur These einer „66-Jahre-Verschwörung“ zwischen Preußen und Österreich – unter Auslassung Sachsens.

Die Schützer der Verfassung

Napoleon wird das bonmot zugeschrieben, Geschichte sei die Lüge, auf die sich zum Schluss alle geeinigt haben. Als er den österreichischen Kaiser Franz II. 1806 (wenige Wochen vor Jena und Auerstedt) per Ultimatum zur Niederlegung der Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation aufforderte, musste schnell gehandelt werden: Die militärische Situation Österreichs war katastrophal, Preußen und Sachsen bereiteten sich gerade mit gemischten Gefühlen auf den gemeinsamen Waffengang gegen die Eindringlinge vor. Der Kaiser musste abdanken und ja – natürlich musste in dieser Situation das Reich aufgelöst werden! Zu groß war nämlich die Gefahr, dass der selbstgekrönte Kaiser der Franzosen auch noch die Reichskrone sich selbst oder einem anderen Sprössling seines Mafia-Clans aufsetzen würde. In den kommenden Jahrzehnten sollte Sachsen dann zum ewigen Mahner, zum schlechten Gewissen der Nation werden. Am von Napoleon organisierten Ländergeschacher hatte man sich nicht beteiligt, in allen Koalitionskriegen immer den Reichsgedanken bis zuletzt hochgehalten. Auch in dem neuen Deutschen Bund sollte das so weitergehen, wann immer es galt, die Verfassung des Staatenbundes hochzuhalten, Eindringlinge abzuwehren, wie die Dänen, als diese Schleswig annektieren wollten, stand Sachsen an vorderster Front, während die militärischen Schwergewichte Preußen und Österreich-Ungarn ihre Partikularinteressen pflegten. Aber worauf gründete sich diese sächsische Beharrlichkeit? War es reine Polit-Nostalgie, rückwärtsgewandtes Betrauern der guten alten Vergangenheit? Wie hätte man dann zur gleichen Zeit die modernen Möglichkeiten so konsequent nutzen und sich zum am stärksten industrialisierten Land Deutschlands entwickeln können!

Geheimabkommen 1806

Nein, es muss 1806 ein Geheimabkommen der Reichsfürsten gegeben haben, eine geheime Absprache zur Neugründung des Reiches in der Zukunft – deren bleiernes Schweigen zum Verschwinden des Reiches nach tausend Jahren kann nicht die einzige Reaktion gewesen sein.

Wie kann man sich das vorstellen? Wenn irgendetwas noch funktionierte in diesem Reich, dann waren es Geheimgesellschaften aller Couleur, mit geheimen Logen und verschwiegenen Treffen. Jeder stand mit jedem im Briefwechsel, man reiste inkognito und traf sich bei freimaurerischen Zeremonien: Das Ultimatum des Korsen war ja auch nicht gänzlich überraschend gekommen, man konnte sich vorbereiten.

Aber worauf sich einigen? Seit ziemlich genau 66 Jahren, als Kaiser Karl VII. rechtmäßig gewählt, aber dann von Österreich einfach nicht anerkannt und am Ausüben seines Amtes gehindert worden war, hatte sich niemand mehr an die alte Reichsverfassung gehalten. Viele alte Rechnungen, jahrzehntealte Vorwürfe und nie beigelegte Rechtsstreitigkeiten dürften hochgekocht sein: Am Ende wird man festgelegt haben, die Neugründung auf einen späten Zeitpunkt zu vertagen – nach weiteren 66 Jahren zum Beispiel.

Kriege als Massaker

In den kommenden Jahrzehnten machten dann vor allem die Bürgerlichen von sich reden, indem sie ihre Ansprüche bekräftigten, im politischen Geschäft mitzubestimmen. Alle Barrikadenkämpfe und Parlamentsreden scheiterten aber letztlich immer an dem Dilemma: großdeutsch (mit Österreich) oder kleindeutsch (nur mit Preußen). Ein weiteres Problem verschärfte sich: Das altbewährte Mittel der Fürsten, zur Konsensfindung eine Schlacht zu schlagen und dann auf die Weisheit des Gottesurteils zu vertrauen, war schon zu Napoleons Zeiten durch das neue Phänomen des Volkskriegs (Spanisch: guerilla) ad absurdum geführt worden. Mit zunehmender Weiterentwicklung der Artillerie gewannen die Schlachten immer mehr den Charakter humanitärer Katastrophen. Keiner weiß genau, wie viele Todesopfer die Völkerschlacht von Leipzig gekostet hatte (90.000 bis 120.000?), doch bei der Schlacht von Solferino in Italien 1859 zwischen Frankreich und Österreich blieb es nicht verborgen, dass 30.000 junge Männer sofort gestorben waren und 40.000 in den Tagen danach an Krankheiten, Verletzungen und Mangelversorgung elendiglich krepierten. Als eine Reaktion auf diese Katastrophe war in der Schweiz das Rote Kreuz gegründet worden. 1863 wurden bei Gettysburg in den USA über 60.000 Menschen geopfert – für die nationale Einheit.

Bis zum Ablauf der wahrscheinlich vereinbarten 66 Jahre (1872!) war es da schon nicht mehr lange hin. In dieser Situation brachte das Jahr 1864 die entscheidende Wende. Die beiden militärisch stärksten Bundesstaaten, Preußen und Österreich-Ungarn, schlossen ein Separat-Bündnis und beendeten gemeinsam die dänische Aggression in Schleswig. Besonders Briten, Franzosen und Italiener waren not amused und beäugten den plötzlich ausgebrochenen Frieden argwöhnisch, schließlich hatte man sich daran gewöhnt, die deutschen Teilstaaten in internationalen Konflikten auf jeweils entgegengesetzten Seiten zu vereinnahmen.

Der Weg nach Königgrätz

Im Herbst 1864 reiste der spätere k.u.k. Kavalleriegeneral Tassilo Festetics nach Berlin und nahm an den traditionellen Herbstmanövern des königlich-preußischen Garde-Corps teil. Er gehörte zu den Glücklichen, die die Hölle von Solferino überlebt hatten, danach hatte er sich ausmustern lassen, obwohl er für seine Leistungen mit Orden überhäuft worden war. Erst 1862 hatte er seine Meinung geändert und war wieder in den aktiven Dienst eingetreten. Ein Mann mit einer Mission?

Otto von Bismarck teilte den übrigen Bundesstaaten am 10. Juni 1866 in Frankfurt mit, dass es mit dem Deutschen Bund bald vorbei und stattdessen ein einheitlicher, deutscher Bundesstaat im Entstehen begriffen sei. Zu diesem Zeitpunkt wurde Holstein österreichisch verwaltet und Schleswig preußisch. Am 11. Juni berief der österreichische Statthalter zum letzten Mal die holsteinische Ständeversammlung ein. Da jedoch preußische Uniformierte gesichtet worden waren, beschloss man, die Tagung abzubrechen. Dies nahm Österreich zum Anlass, am 14. Juni in Frankfurt die Ausrufung des Bundeskriegs gegen Preußen zu beantragen. Zeitgleich begannen gerade die traditionellen Sommermanöver des Königreichs Hannover. Die nun feindlichen Preußen waren offiziell nicht eingeladen, kamen aber trotzdem. Ihr Ultimatum zu einer Art Zwangsbündnis wies der König von Hannover am 15. Juni zurück. Die hannoverschen Truppen ließen Munition und Vorräte größtenteils in Hannover zurück und zogen nach Thüringen, um die verbündeten Bayern zu erreichen. Nach einem siegreichen Gefecht bei Langensalza am 27. Juni mussten die Hannoveraner trotzdem kapitulieren, da sie noch vor Eintreffen der Bayern umstellt worden waren.

Sachsen hatte zu diesem Zeitpunkt sein Armeecorps von etwa 20.000 Mann bereits nach Böhmen in Marsch gesetzt, preußische Truppen marschierten durch Sachsen, und die Soldaten diskutierten mit den Einheimischen abends in den Kneipen, ob nun ein bayerischer Einmarsch wirklich besser für Sachsen gewesen wäre (was viele Sachsen damals meinten).

Die Schlacht

Ein preußischer Emissär überreichte der österreichischen Vorhut unter Festetics die offizielle Kriegserklärung, dann begannen die Kämpfe und sofort auch eine gewisse „Unordnung“ beim k.u.k. Oberkommando: Bei Gitschin (heute Jičín) standen die Sachsen unerwartet der 1. preußischen Armee gegenüber, weil der österreichische General Clam-Gallas von einem ganz anderen Manöver seines Oberbefehlshabers Ludwig von Benedek ausgegangen war als dem, das dann erfolgte. 613 Sachsen fielen. Auf preußischer Seite gab es andere Probleme, hier machten sich etliche Mitglieder des Generalstabes ernsthaft Sorgen um den Geisteszustand ihres Oberbefehlshabers Helmuth von Moltke. Der „große Schweiger“ hatte einen Aufmarschplan vorgelegt, der ihres Erachtens zur sicheren Katastrophe führen musste. Dieser beinhaltete unter anderem, alle gegnerischen Kräfte zu binden und alle auf einmal zur gigantischen Entscheidungsschlacht zu stellen.

Bekanntlich kam es zu einem großen Sieg der Preußen, ermöglicht durch das Auftauchen der 2. preußischen Armee (unter ihnen der 19-jährige Paul von Hindenburg) im richtigen Augenblick am richtigen Ort, um unter Führung des Kronprinzen Friedrich durch eine Lücke in den österreichischen Linien zu marschieren und die Schlacht zu entscheiden. Die Lücke war entstanden, nachdem Festetics seine Husaren, angeblich ohne Kenntnis seines Oberkommandierenden, in einen Wald zur Attacke auf eine dort verschanzte preußische Infanterieeinheit geführt hatte und auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Ein Historiker formulierte es 1883 so: „Bei den Kämpfen um den Swiepwald setzte er sich über die Unordnung der Heeresleitung hinweg, indem er, nachdem der erste Angriff zurückgewiesen worden war, neuerlich zum Sturm vorgehen ließ, obwohl er den Preußen auch durch Artilleriefeuer allein den Aufenthalt im Walde hätte verleiden können, da der Forst im Bereiche seiner Geschütze lag.“ Das „Husarenstück“ endete für ihn selbst damit, dass eine Granate ihm den Fuß zerfetzte und er vom Schlachtfeld getragen wurde.

Die Sachsen merkten, dass das Schlachtglück sich gewendet hatte, als hinter ihnen plötzlich preußische Einheiten auftauchten, von denen man sicher angenommen hatte, dass sie während der Schlacht den Fluss niemals würden überwinden können. Da war guter Rat teuer – und Widerstand zwecklos. Insgesamt verloren 1548 sächsische Soldaten und Offiziere bei Königgrätz ihr Leben, alles in allem starben auf beiden Seiten zusammen etwa 8000 Männer in der Schlacht oder später an ihren Verwundungen.

„Heben wir Deutschland in den Sattel …“

Sachsen hatte im Deutschen Krieg den prozentual größten Blutzoll geleistet. Bei einer Friedensstärke des Armeecorps von 591 Offizieren und 23.350 Soldaten waren jeder siebente Offizier und jeder elfte Soldat gefallen. Hochgerechnet auf die 400.000 Teilnehmer der Schlacht hätte das eine Größenordnung wie bei Solferino oder Gettysburg bedeutet – was letztlich zeigt, dass den Sachsen weder von den Preußen noch von den Österreichern reiner Wein eingeschenkt worden war. Alle plötzlich sich auftuenden Lücken in der Schlachtordnung und durch diese durchmarschierenden Garderegimenter kamen für das sächsische Oberkommando so unerwartet wie für die einfachen Soldaten. Die Schwergewichte – intransparent, autoritär und von der Arroganz der Macht inspiriert – waren sich von vornherein einig gewesen und hatten ihre Verluste auf Kosten der Kleinstaaten minimiert. Königgrätz bestätigte Sachsens Befürchtungen, weshalb man eigentlich vorgehabt hatte, sich weder Preußen noch Österreich anzuschließen um lieber mit den anderen Mittelstaaten (vor allem Bayern) zusammenzugehen.

Womit nicht die Leistung der mutigen Männer kleingeredet werden soll, die aus der Situation das Beste gemacht hatten! Der Zeitgeist hatte eine Schlacht gefordert für die Neugründung des Reiches. Man war im besten Sinne ärztlich an das Problem herangegangen und hatte mit der denkbar geringsten Zahl an Todesopfern geliefert: Ludwig August von Benedek, in den Ritterstand erhobener Arztsohn aus Ödenburg (heute Šopron), k.u.k. Oberkommandierender und 62 Jahre alt – er musste später einen Eid ablegen, zum Ablauf der Schlacht zeitlebens Stillschweigen zu wahren. Fast wäre er noch vor einem Kriegsgericht gelandet, der Kaiser bewahrte ihn davor. Niemand kam auf die Idee, ihm etwa das Ausbleiben eines Gemetzels wie bei Solferino oder Gettysburg zu danken. Den „großen Schweiger“ Helmuth von Moltke musste man nicht extra vergattern, von ihm hätte sowieso niemand etwas über den Schlachtablauf herausbekommen. An Spekulationen über das angeblich schlachtentscheidende (übrigens im thüringischen Sömmerda entwickelte) Zündnadelgewehr der Preußen beteiligte er sich nicht – dass die österreichische Artillerie bei Königgrätz der preußischen eigentlich überlegen gewesen war, wussten sowieso alle.

Und was stand im zweiten Teil der Abmachung? Ein verlustreicher Krieg gegen Frankreich (Österreich blieb neutral!) wurde dann noch als unerlässlich angesehen, der napoleonische Fluch sollte wohl zu seinem Ursprung zurückkehren, bevor die Reichsneugründung – tagesaktuell vorgezogen auf 1871 – erfolgen konnte. Zurück bleibt die Frage, was eigentlich dem stolzen Österreich-Ungarn zugesagt worden war, vor diesem abgekarteten Spiel mit vorprogrammiertem preußischem Sieg. Die ausnehmend gute Zusammenarbeit der beiden Kaiser bis 1918 legt nahe, dass man sich zur beiderseitigen Zufriedenheit geeinigt hatte und der ausgleichenden Gerechtigkeit mit ruhiger Gelassenheit harren konnte. Der „Bund zur Erneuerung des Reiches“, der in den 1920er Jahren wirkte, sah jedenfalls ganz neue Akteure – kaum noch Fürsten, dafür Banker wie Hans Luther und Max Warburg, Wissenschaftler wie Max Planck und Hans Delbrück, Gewerkschafter und Industrielle.

Zuletzt erschien dann aber doch wieder ein alter Königgrätzer auf der Bühne: Paul von Hindenburg übernahm es, Preußen als unabhängigen Staat abzuschaffen, indem er es im „Preußenschlag“, 66 Jahre nach Königgrätz, unter Reichsverwaltung stellte.

Wenig später ernannte er einen Österreicher zum Reichskanzler.

■ Hansjörg Rothe

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