40 Sudetendeutsche werden am 10. Mai 1945 in einem Kino in Prag interniert. Später werden sie von tschechischen "Revolutionsgarden" erschossen. Foto: By Jacksonmcdonald3425 - Own work, CC BY-SA 4.0.

Wenzel Jaksch: Verzweifeltes Endspiel um das Sudetenland 1945

Ein Humanist gegen den tschechischen Vertreibungspolitiker Edvard Beneš.

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Dies ist der zweite Teil einer zweiteiligen Folge. Den ersten Teil dieses Textes lesen Sie hier.

In seiner programmatischen Rede verlangte Jaksch die tatsächlich längst überfällige Anerkennung der Deutschen als Staatsvolk innerhalb der Tschechoslowakei, betonte aber auch weiterhin die Staatstreue seiner Partei. Seine Grundpositionen betonte Jaksch in einem Interview mit der britischen Zeitung „Daily Telegraph“ vom 23. April 1938. Diese waren: 1. Kantonisierung des Landes, da territoriale Autonomie aufgrund des uneinheitlichen Siedlungsgebietes der Sudetendeutschen nicht möglich war, 2. gesetzlich verankerte nationale Proportionalität für das Personal im öffentlichen Dienst; 3. deutsche Selbstverwaltung in sozialen und Bildungsfragen; 4. Schaffung von kantonalen und Verbraucherkammern; 5. ein neues Sprachgesetz.

Beneš Hinhaltetaktik

Solche Appelle kamen freilich zu spät. Als deutsche Truppen am 15. und 16. März 1939 das nach dem Münchner Abkommen vom September 1938 schon um das Sudetenland verkleinerte Staatsgebiet der Tschechoslowakei besetzten, musste Jaksch mit anderen sudetendeutschen Sozialdemokraten mit Schneeschuhen über die Beskiden, einen Gebirgszug an der damaligen tschechoslowakisch-polnischen Grenze, fliehen, da die DSAP-Funktionäre nun als Mitglieder einer im Deutschen Reich verbotenen Partei galten. Von Kattowitz reiste Jaksch weiter nach Gdingen, setzte nach Schweden über und gelangte von hier aus weiter nach London, wo er gemeinsam mit anderen DSAP-Mitgliedern die „Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten“ gründete.

Im Londoner Exil trafen Jaksch und die anderen sudetendeutschen Sozialdemokraten auch Edvard Beneš, der zwischen 1935 und 1938 tschechoslowakischer Ministerpräsident gewesen war. Die in London verbliebenen Vorstandsmitglieder der DSAP verfassten kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs einen Aufruf an Beneš, in dem sie ihn als „Herr Präsident“ ansprachen und schrieben:

„Wir erblicken in der Wiederherstellung der selbständigen Tschechoslowakischen Republik eines der selbstverständlichen Friedensziele der Demokratie. Wir setzen sie in Kenntnis, dass die Sudetendeutschen in der wiedererstandenen Republik ein gleichberechtigter Faktor im Rahmen einer föderativen Verfassung werden wollen, die die Sicherheit der sozialen Existenz und die Freiheit der nationalkulturellen Entfaltung verbürgt.“

Beneš begrüßte diesen Aufruf damals noch und antwortete:

„Wir werden auf jeden Fall (nach Kriegsende) viele deutsche Staatsbürger haben.“

Mit den sudetendeutschen Sozialdemokraten wolle er „mit großer Freude“ zusammenarbeiten. Bald wurde aber deutlich, dass Beneš die sudetendeutschen Sozialdemokraten im Exil umging und auch nicht bereit war, sie in seinen Staatsrat aufzunehmen. Nach der vollen Anerkennung der tschechoslowakischen Auslandsregierung durch Großbritannien wurde Beneš gegenüber Bruce Lockhart, dem Vertreter des Foreign Office, noch deutlicher, und erklärte, dass er „keine Verhandlungen mit Jaksch führe und selbst keine führen werde…90 Prozent der Deutschen sind heute Anhänger Henleins, und mit diesen haben wir nichts zu verhandeln.“ Die schrecklichste aller denkbaren Alternativen nach Kriegsende, die Vertreibung der Sudetendeutschen, nahm nun zunehmend Gestalt an. Jaksch erinnerte Beneš noch in einem Brief aus dem Jahr 1942 daran, dass die sudetendeutschen Sozialdemokraten „dem tschechischen Volk zur Seite standen, als es von allen Freunden verlassen war.“ Nun war Jaksch im Londoner Exil völlig verlassen und wurde auch vom britischen Rundfunk abgeschnitten.

Machtloser Beobachter der Vertreibung

Es gelang nicht einmal mehr, ein „Sudetendeutsches Demokratisches Nationalkomitee“ als Gegenpol zur tschechoslowakischen Auslandsregierung ins Leben zu rufen oder breite Schichten in der Heimat über die Vertreibungspläne zu unterrichten. Letzte Hoffnungen richtete Jaksch nun auf einen schnellen Vormarsch der amerikanischen Armee nach Böhmen hinein, um das Land vor der Stalinisierung zu bewahren und den Vorkriegsstatus einer Republik mit einer sudetendeutschen Minderheit wiederherzustellen. In seinem in vielen Auflagen erschienenen Buch „Europas Weg nach Potsdam“ erinnerte sich Jaksch:

„Beinahe hätten die amerikanischen Waffen im letzten Moment die tödliche Verstrickung durchschnitten, welche sich um die Freiheit Böhmens und Mährens zusammenzog. Gegen einen immer schwächer werdenden deutschen Widerstand stießen in den ersten Maitagen 1945 die Panzerspitzen der Armee des Generals Patton über den Böhmerwald vor. Prag und ganz Böhmen lagen den amerikanischen Streitkräften offen…Churchill erkannte die Chance des Westens. Er kabelte am 30. April an den Präsidenten Truman: ‚Es kann wenig Zweifel darüber geben, dass die Befreiung Prags und möglichst viel von dem Territorium der westlichen Tschechoslowakei durch unsere Streitkräfte die Nachkriegssituation in der Tschechoslowakei und den angrenzenden Ländern entscheidend beeinflussen würde. Wenn andererseits die westlichen Alliierten an der Befreiung der Tschechoslowakei keinen Anteil nehmen, so wird das Land den Weg Jugoslawiens gehen.‘ Churchill bat Truman, im Sinne dieser politischen Erwägungen Instruktionen an Eisenhower zu geben. Eisenhower fügte sich jedoch dem Wunsch der Russen, auf der Linie Budweis – Pilsen – Karlsbad stehenzubleiben.“

Jaksch musste aus seinem Londoner Exil somit ohnmächtig der Vertreibung seiner Landsleute zusehen. Die ganze Perfidie der Politik tobte sich nun an ihm aus. Ausgerechnet er, der Hitler-Gegner der ersten Stunde, der bis zum letzten Tag ein loyaler tschechoslowakischer Staatsbürger geblieben war, als schon niemand mehr einen Pfifferling auf diesen Staat gab, bekam bis ins Jahr 1949 keine Einreisegenehmigung in die westlichen Besatzungszonen Deutschlands, was einem Wunsch der Prager Regierung entsprach. Aus dem Londoner Exil heraus verfasste er mit weiteren Mitunterzeichnern noch eine Petition an die „Unterzeichner-Mächte des Potsdamer Abkommens“, in der er eine Neuverhandlung der Ergebnisse der Potsdamer Konferenz forderte.

Wiederaufstieg als Vertriebenenpolitiker

Nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik holte ihn Kurt Schumacher schon im Jahr 1950 in den Parteivorstand der SPD. Jaksch war ein Glücksfall für die Partei, denn er war die ideale Integrationsfigur für eine Partei mit einem sehr hohen Vertriebenenanteil, wie ihn die SPD in der Nachkriegszeit aufwies. Am 4. Juni 1951 wurde die „Seliger-Gemeinde“ als organisatorischer Zusammenschluss der früheren sudetendeutschen Sozialdemokraten in München mit Wenzel Jaksch als ihrem ersten Vorsitzenden gegründet. Von 1950 bis 1953 leitete er außerdem das hessische Landesamt für Vertriebene und Flüchtlinge und zog 1953 in den Bundestag ein. Auch innerhalb der eigentlich eher konservativ geprägten Vertriebenenverbände gewann der Sozialdemokrat Jaksch zunehmend an Rückhalt, was sich in seiner Wahl zum Vizepräsidenten des Bundes der Vertriebenen (BdV)im Dezember 1958 und schließlich zum ersten BdV-Präsidenten im März 1964 niederschlug. In Studien wie „Westeuropa – Osteuropa – Sowjetunion“ oder „Gedanken zur Ostpolitik“ schlug Jaksch eine gesamteuropäische Wirtschaftsraumplanung vor, in deren Rahmen unter anderem der Ausbau der Wasserstraßen, des Fernverkehrsnetzes, der Ölleitungen sowie der Energieversorgung vorangetrieben wurde.

Wenzel Jaksch (re.) im Gespräch mit dem Landesvorsitzenden des „Verbandes der Heimkehrer“ (VdH) Josef Domabyl beim Nordmarktreffen der Sudetendeutschen in Kiel (1963). Foto: Von Magnussen, Friedrich (1914-1987) – Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 de.

Dieser Marshallplan des Westens für Osteuropa sollte eine Lösung der ostdeutschen Frage im Einvernehmen mit den osteuropäischen Völkern ermöglichen und wurde im SPD-Parteivorstand intensiv von Herbert Wehner und Willy Brandt diskutiert. Am 15. Mai wurde Jaksch mit dem Rekordergebnis von 105 Stimmen der 109 Delegierten in seinem Amt als BdV-Präsident bestätigt. Jaksch war der unumstrittene Repräsentant der deutschen Heimatvertriebenen geworden und war einerseits wegen der über ihn erreichbaren Wählermobilisierung unverzichtbar für die SPD geworden, andererseits wegen seiner innerparteilichen Machtworte für die Vertriebenen zunehmend umstritten.

Auf dem Höhepunkt seines Einflusses auf die bundesdeutsche Politik verstarb Jaksch am 27. November 1966 bei einem Autounfall in Wiesbaden. Anlässlich seiner Beerdigung am 2. Dezember 1966 nannte Willy Brandt ihn den „Vater der Vertriebenen“. Das Vakuum, das dieser große deutsche Patriot und Freund der osteuropäischen Völker sowohl innerhalb der SPD als auch des BdV hinterließ, konnte nie mehr ganz gefüllt werden. Die Tragik im Leben von Jaksch bestand darin, dass die Sudetengebiete seit 1918 – wie er es einmal schrieb – „Objekte des Machtspiels der Großen“ geblieben waren.

Arne Schimmer

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