Laut einer Aussage der kürzlich in der „Welt“ porträtierten 68er-Ikone Rainer Langhans habe die linke Polit-Aktivistin Beate Klarsfeld kürzlich zum Thema Horst Mahler zu ihm gesagt: „Der Horst sucht eben weiter. Die Holocaust-Leugnung von Horst Mahler, das hat er von uns gelernt, wir haben ihm doch beigebracht, zu provozieren. Von uns hat er gelernt, wie man Leute zum Gespräch zwingt. Der Horst glaubt, dass das notwendige Gespräch nicht stattfindet.“ Das ist eine originelle Deutung des späten Lebenslaufs von Horst Mahler.
Oberflächlich betrachtet war das Leben des früheren Rechtsanwalts von großen Brüchen gekennzeichnet. Der am 23. Januar 1936 im schlesischen Haynau geborene Horst Mahler gehörte noch einer Generation an, die den Bombenkrieg, die Vertreibung der Ostdeutschen und die anschließende Teilung des Landes durch die Siegermächte bewusst erlebte. Die Mutter flüchtete 1945 mit den drei Söhnen in die Sowjetische Besatzungszone. Sein Vater Willi praktizierte nach der Rückkehr aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft noch für einige Jahre als Zahnarzt in Dessau-Roßlau, bevor er 1949 von eigener Hand aus dem Leben schied. Dieses hochgradig traumatische Ereignis dürfte Horst Mahler zutiefst geprägt haben.
Nach diesem Schock siedelte die Familie nach West-Berlin über. Hier schloss Mahler im Frühjahr 1955 das Abitur als Jahrgangsbester ab und nahm im folgenden Sommersemester ein Jurastudium an der FU auf. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich intensiv mit kommunistischer Theorie und wurde schließlich zum Leninisten. Dessen Werk „Staat und Revolution“ interpretierte er als Freispruch „von aller Kollektivschuld“, wie Mahler 1977 rückblickend bemerkte. Nach einem kurzen Zwischenspiel bei der schlagenden Verbindung „Thuringia“ führte sein Weg ihn 1956 erst in die SPD und drei Jahre später dann in den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Nach dem Ablegen seines zweiten Staatsexamens stehen ihm beruflich alle Wege offen. Er gilt als der kommende Staranwalt West-Berlins, auch weil er 1966 als erster deutscher Anwalt eine Beschwerde bei der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg durchbringt. Doch im gleichen Jahr beginnt er auch, auf die persönliche Bitte Rudi Dutschkes hin als Anwalt der sich formierenden neulinken Außerparlamentarischen Opposition zu wirken.
Gründung der und Ablösung von der RAF
In den folgenden Jahren agierte er als der juristische Vertreter der 68er-Bewegung schlechthin und übernahm hier eine fast unüberschaubare Vielzahl an Verfahren, wobei er seine Mandate oft unbezahlt ausübte. Als charismatischer Rechtsanwalt, der die Gerichtssäle regelmäßig zu seiner politischen Bühne machte, trug er wohl so stark zur Außenwahrnehmung der Bewegung bei wie sonst nur Rudi Dutschke. Bekanntheit erlangte Mahler insbesondere als Verteidiger – neben dem späteren Bundesinnenminister Otto Schily – von Gudrun Ensslin und Andreas Baader im Prozess um die sogenannten Kaufhaus-Brandstiftungen, der 1968 die Aufmerksamkeit der ganzen Nation fesselte und als wichtiger Teil der Vorgeschichte der Rote Armee Fraktion (RAF) gilt.
Wieso aber überhaupt die Hinwendung zum Terrorismus? In der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg am Rande einer Demonstration gegen den Besuch des iranischen Schahs Reza Pahlavi, die am 2. Juni 1967 in Berlin stattfand, wollten viele Studenten einen angeblichen Umschwung der bislang latenten in offene gesellschaftliche Gewalt gegen sich erkennen. Sie ahnten nicht, dass der Schütze – der Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras – gleichzeitig Geheimer Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit war. Die Tat war jedenfalls für viele ein Wendepunkt, auch für Horst Mahler. Für den damaligen Leninisten schloss eine erfolgreiche Revolution Gewalt ohnehin mit ein.

Der APO-Anwalt war bei der Konzeption und Gründung der „Rote Armee Fraktion“ dann auch die maßgebliche Zentralfigur. Er rekrutierte große Teile der ersten Generation wie Manfred Grashof, Petra Schelm, Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Im Sommer 1970, als er in einem jordanischen PLO-Camp für den bewaffneten Kampf trainierte, hatte er allerdings sein Damaskuserlebnis. Das Gruppenmitglied Peter Homann wurde von dem vielfach vorbestraften Desperado Andreas Baader, der die RAF-Führung in dieser Zeit immer stärker an sich riss, beschuldigt, ein potentieller Verräter zu sein. Er sollte zur „Stärkung der Solidarität“ erschossen werden, was am Ende nur deshalb nicht geschah, weil die arabischen Gastgeber keinen toten deutschen Staatsbürger in ihrer Einrichtung wünschten. 27 Jahre später benannte Mahler diesen Augenblick in einem Offenen Brief an die „Zeit“ als den „Ausgangspunkt meiner allmählichen Ablösung“ vom Terrorismus.
Kein Griff zur Pistole
Als er am 8. Oktober 1970 in Berlin festgenommen wurde, unterließ er den Griff zur entsicherten Pistole in seiner Hosentasche und begrüßte die Polizisten nur mit den Worten „Kompliment, meine Herren!“. Weil sich Mahler in seiner Haftzeit als einziger der gefangenen Terroristen konsequent dem Führungsanspruch verweigerte, den das Duo Andreas Baader/Gudrun Ensslin erhob, war sein Ausschluss aus der RAF, der schließlich 1974 erfolgte, nur eine Frage der Zeit. Es folgte ein knapp zweijähriges Zwischenspiel bei der damals scharf national argumentierenden maoistischen KPD, die zum Sturz des „Honecker-Regimes“ aufrief und ihre entscheidende Aufgabe darin sah, die Volksmassen auf einen „nationalen Verteidigungskrieg“ gegen die „sozialimperialistische“ Sowjetunion vorzubereiten – auch der junge Michael Kühnen war übrigens kurzzeitig Mitglied dieser Partei. Der entscheidende geistige Wendepunkt für Horst Mahler waren aber dessen Lektüreerlebnisse in seiner Haftzeit während der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Nach einer ausführlichen Lektüre der Werke Hegels sowie des DDR-Dissidenten Rudolf Bahro und des französischen Existentialisten Jean-Paul Sartre brach er mit einer dogmatisch verstandenen kommunistischen Theorie.
Ein Übriges taten die Vorgänge in der Volksrepublik China, wo der Reformer Deng Xiaoping Maos staatszersetzende „Kulturrevolution“ beendete und ein äußerst erfolgreiches Reformwerk in Gang setzte. Fakt ist, dass seine im Jahr seiner Freilassung 1980 vertretenen Positionen gar nicht mal weit entfernt von seinen späteren waren. In einem Gespräch mit dem FDP-Innenminister Gerhart Baum bezeichnete er beispielsweise die „Staatsfrage“ als den „Angelpunkt meiner Orientierung und meines Handelns“ und stellte fest, es sei „eine fürchterliche Sache, wenn man sich nicht mit dem eigenen Volk identifizieren kann.“ Im Gespräch mit Baum äußerte er auch: „Ich halte die überzeugten Nazis nicht für Unmenschen. Mein Vater zum Beispiel war nach meinen Begriffen das, was man einen guten Menschen nennt, gleichwohl war er ein überzeugter Nazi.“ Trotz solcher Aussagen besaß Mahler damals, weil er als gemäßigter Linker galt, fast einen Starstatus. Der schon erwähnte Baum und „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein gingen mit ihm auf Lesetour, der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder kämpfte für seine Wiederzulassung als Anwalt und die „Alternative Liste West-Berlin“ wollte ihn als Mitglied gewinnen, was Mahler allerdings ablehnte.
Erst als er seine schon in den frühen achtziger Jahren geäußerten Positionen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre anlässlich des Amtsantritts der rot-grünen Bundesregierung, in der viele seiner ehemaligen Weggefährten wirkten, nochmals pointiert wiederholte, wurde er überhaupt als Renegat wahrgenommen. Seine langjährigen Haftstrafen nach der Jahrtausendwende sind wiederum ausschließlich auf Meinungsdelikte und hier insbesondere auf Verurteilungen wegen Holocaustleugnung zurückzuführen, wobei das entsprechende, zugrundeliegende Strafgesetz auch schon von früheren Verfassungsrichtern wie Wolfgang Hoffmann-Riem und Winfried Hassemer sowie vom früheren Bundesinnenminister Otto Schily kritisiert wurde.
Tatsächlich zeigt ein Blick auf die Biographie Horst Mahlers, dass es nicht nur eines Rechtsstaates unwürdig, sondern auch extrem unsouverän ist, die Debatte mit einem Dissidenten durch sein lebenslängliches Wegsperren beenden zu wollen. Am 27. Juli 2025 ist Horst Mahler in Berlin verstorben. Zumindest seine Verfolger können ihm nun nichts mehr anhaben.
■ Arne Schimmer
Abonniert unseren Telegram-Kanal https://t.me/aufgewachtonline
Abonniert unseren X-Kanal: https://x.com/AufgewachtS
Kostenlose AUFGEWACHT-Leseprobe herunterladen: https://aufgewacht-online.de/leseprobe/