AUFGEWACHT liefert ein neues Sonderheft zu einem besonders wichtigen Thema, das viel zu wenig Beachtung findet: Politische Prozesse gegen Oppositionelle in der BRD. Ein Thema, das in dieser Publikation, welche die Systematik der Repression herausstellt, zuvor noch nicht aufgearbeitet wurde. Im Heft enthalten sind Berichte und Analysen zu zahlreichen großen Polit-Prozessen, etwa dem Verfahren gegen die sog. „Reuss-Gruppe“ oder den „Sächsischen Separatisten“. Im Interview sprechen die Rechtsanwälte Dubravko Mandic und Andreas Wölfel über ihre Erfahrungen in politischen Verfahren, auch die Anwaltskollegen Martin Kohlmann und Dr. Björn Clemens steuern Erfahrungsberichte bei. Von dem Prozess gegen das „Aktionsbüro Mittelrhein“ 2012 über die ersten „Chatgruppen-Terroristen“ und „Lauterbach-Entführer“ bis zum im Januar beginnenden Großprozess in Sachsen, liefert das Sonderheft zahlreiche Hintergründe zur systematischen Repression und wie sich die Regierung ihren „Terrorismus“ selbst erschafft. HIER zu bestellen!
Die südpfälzische Kleinstadt Kandel wurde im Dezember 2017 bis ins Mark von einem Verbrechen erschüttert: die brutale Ermordung der 15‑jährigen Mia Valentin. Was als ganz gewöhnlicher Tag begann, endete in einer Tragödie. Diese stürzte nicht nur die Gemeinde selbst, sondern ein ganzes Land in Fassungslosigkeit. Es wurde eine Debatte entfacht, die weit über die Grenzen Kandels hinausreichte.
Am 27. Dezember 2017 war Mia Valentin in der Filiale einer Drogeriekette von dem afghanischen Asylanten Abdul D., der als angeblich minderjähriger Flüchtling nach Deutschland eingereist war, durch zahlreiche Messerstiche getötet worden. Bei der von ihm verwendeten Waffe handelte es sich um ein Brotmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge. Zwei Begleiter des Mädchens sollen den Afghanen dann noch bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten haben. Dieses verstarb noch auf der Fahrt in das Krankenhaus.
Der Asylantrag des angeblich minderjährigen Asylbewerbers war abgelehnt worden, dennoch besaß er einen Aufenthaltstitel. Der Fall erhielt dadurch eine besonders tragische Dimension, dass die Eltern des Mädchens schon am 15. Dezember 2017 eine Strafanzeige gegen den Ex‑Freund ihrer Tochter wegen Beleidigung, Nötigung und Bedrohung gestellt hatten. Unter anderem hatte der Afghane damit gedroht, die Schülerin „abzupassen“. Auch sonst hatte sich der Migrant nicht gerade unauffällig verhalten: Polizeilich erfasst war er nicht nur wegen seiner illegalen Einreise, sondern auch wegen eines Körperverletzungsdelikts vom November 2016. Damals hatte er einen Mitschüler auf dem Schulhof mit Faustschlägen traktiert.

Den polizeilichen Vorladungen, die nach dem Eingang der Anzeige an den späteren Täter ergangen waren, hatte dieser keine Folge geleistet. Die Polizei setzte deshalb nach eigenen Angaben auf eine telefonische und zwei persönliche Gefährderansprachen, mit denen das Verhalten eines möglichen Straftäters beeinflusst werden sollte. Noch am Tattag hatte die Polizei den Afghanen angesprochen, was aber offensichtlich ohne Wirkung geblieben war.
„Immer noch nichts gelernt?“
Der Fall Mia Valentin führte zu einem starken Vertrauensverlust in die Medien. „Spiegel Online“ beispielsweis berichtete erst am Abend des 27. Dezember von der Tat, in der Meldung wurde dann allerdings nur mitgeteilt, dass ein „gleichaltriger Junge“ ein 15jähriges Mädchen erstochen habe. Die eigentlich zu einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichteten öffentlich-rechtlichen Medien agierten einmal mehr noch fragwürdiger. Die „Tagesschau“ berichtete am Tattag überhaupt nichts über die Bluttat in der südpfälzischen Kleinstadt, was zahlreiche Nachfragen von verdutzten und häufig auch verärgerten Zuschauern nach sich zog. Am Nachmittag des 28. Dezember 2017 sah sich die Redaktion dann zu einer Erklärung veranlasst, die Marcus Bornheim, der damalige zweite Chefredakteur von ARD-aktuell, auf dem Blog tagesschau.de abgab. Das Beschweigen des Falls durch die „Tagesschau“ wurde mit einem „professionellen Blick auf diese Tat“ begründet.
Bornheim warf in seinem Text dann aber selbst die Frage auf: „Warum waren wir so zögerlich?“ – und beantwortete sie damit, dass es sich nach dem bisherigen Kenntnisstand um eine „Beziehungstat“ gehandelt habe, über die in der „Tagesschau“ in der Regel nicht berichtet werde. Viele Kommentatoren auf der Netzseite der „Tagesschau“ fanden diese Erklärung wenig überzeugend. Ein Nutzer fragte beispielsweise: „Ich bin wirklich entsetzt! Haben Sie denn trotz aller Kritik in den vergangenen Monaten immer noch nichts gelernt und geändert?“
Michael Hanfeld kam damals in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu der Schlussfolgerung: „Über den Kampfslogan Lückenpresse braucht sich jedenfalls niemand mehr zu wundern.“ Aber auch die Überprüfung des Alters des Täters in Verbindung mit der Frage, warum er sich weiter in der Bundesrepublik aufhalten durfte, wurde in den Wochen nach dem Mord trotz aller Beschwichtigungsversuche durch Politik und Medien zu einem Thema. Der Vater von Mia hatte schon unmittelbar nach der Tat gegenüber der „Bild“-Zeitung Zweifel am Alter des Täters geäußert und gesagt: „Er ist nie und nimmer erst 15 Jahre alt. Wir hoffen, dass wir durch das Verfahren jetzt sein wahres Alter erfahren.“

Immer drängender stellte sich vor dem Hintergrund des Falles Mia Valentin die Frage, was eigentlich bei den sogenannten „Inaugenscheinnahmen“ durch die Jugendämter passiert. Diese sind für die Altersfeststellung von Asylbewerbern zuständig, die ohne Papiere nach Deutschland eingereist sind. Von diesen Entscheidungen hängt enorm viel ab, was gerade der Fall Kandel auf besonders tragische Weise gezeigt hat. Das begann schon ganz grundsätzlich damit, dass der Täter sein späteres Opfer ja niemals kennengelernt hätte, wenn er aufgrund der Alterseinstufung, die ein Jugendamt in Frankfurt am Main vorgenommen hatte, nicht in die Integrierte Gesamtschule in Kandel eingeschult worden wäre. Durch seine Einstufung als MUFL (also minderjähriger unbegleiteter Flüchtling) sicherte sich der Afghane außerdem umfangreiche Leistungen, da ein Minderjähriger Anspruch auf Leistungen nach der Jugendhilfe hat und ein kostspieliges „Gesamtpaket“ aus Unterbringung, Ausbildung und Betreuung finanziert bekommt.
Das sah im Fall des Täters von Kandel so aus, dass er in einer großzügigen Jugend-Wohngruppe untergebracht wurde, in der vier (angebliche) Jugendliche von drei ausgebildeten Erziehern betreut und versorgt wurden. Gerd Landsberg, der damalige Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, bezifferte die monatlichen Kosten für einen unbegleiteten minderjährigen Asylbewerber deshalb schon im Jahr 2016 auf bis zu 5.000 Euro monatlich.
Die Gründung von „Kandel ist überall“
Aber noch aus einem dritten Grund ist die Feststellung des tatsächlichen Alters so wichtig: Im Fall der Begehung von Straftaten muss bei Minderjährigen zwingend das mildere Jugendstrafrecht angewendet werden. Hier ist beispielsweise die Höchststrafe für einen Mord auf zehn Jahre begrenzt. Alle diese Punkte zusammengenommen lassen es als vollkommen unverständlich erscheinen, wie lax in Deutschland nach wie vor bei der Altersfeststellung von Asylbewerbern vorgegangen wird. Auch die teilweise sehr hitzig geführte Debatte in den Wochen nach dem Mord an Mia Valentin blieb einmal mehr folgenlos und verlief im Sand.
Am 3. September 2018 wurde Abdul D. von der Jugendkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz wegen Mordes und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von achteinhalb Jahren verurteilt. Damit hatten sich wohl alle Befürchtungen, insbesondere der Eltern, über eine viel zu milde Strafe bestätigt. Am 10. Oktober 2019 wurde Abdul D. tot in seiner Zelle aufgefunden, er hatte sich erhängt. Auf politischer Ebene gab es mehrere Reaktionen auf den fürchterlichen Mord. Sowohl die AfD wie auch die NPD demonstrierten in Kandel. Das „Frauenbündnis Kandel“ veranstaltete mehrere Demonstrationen, an denen sich jeweils mehrere hundert Personen beteiligten. Die größte Resonanz erzielten die Aufrufe des migrationskritischen Bündnisses „Kandel ist überall“. Als dessen Schirmherrin fungierte die damalige baden-württembergische AfD‑Landtags- und heutige Bundestagsabgeordnete Christina Baum. Am 3. März 2018 folgten rund 4.000 Teilnehmer einem Demo-Aufruf von „Kandel ist überall“, was für westdeutsche Verhältnisse ein großer Mobilisierungserfolg war. Begleitet wurde das alles von Gegenprotesten des Establishment-Bündnisses „Wir sind Kandel“, hinter dem sich die gesamte damalige Polit-Prominenz der rheinland-pfälzischen Altparteien (unter anderem auch der heutige SPD-Ministerpräsident Alexander Schweitzer) sammelte.
Während sich die damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei einer am 24. März 2018 abgehaltenen „Wir sind Kandel“-Kundgebung über angeblich „demokratiefeindliche Propaganda“ der Gegenseite beschwerte, kam es gleichzeitig in der Bahnhofsstraße der pfälzischen Kleinstadt zu schweren linksextremistischen Antifa-Krawallen. Das migrationskritische Bündnis „Kandel ist überall“ leistete noch über Jahre hinweg konstant politische Arbeit und zählte zeitwilig zu den wichtigsten rechten Graswurzelprojekten. Leider bringt das alles die ermordete Mia nicht wieder zurück, unter deren Verlust die Eltern sicherlich zeitlebens zu leiden haben.
■ Arne Schimmer
Abonniert unseren Telegram-Kanal https://t.me/aufgewachtonline
Abonniert unseren X-Kanal: https://x.com/AufgewachtS
Kostenlose AUFGEWACHT-Leseprobe herunterladen: https://aufgewacht-online.de/leseprobe/


