Chemnitz Industrie Säxit
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Ganz sicher: Sachsen kann es auch alleine

Arne Schimmer mit einem volkswirtschaftlichen Plädoyer für den Säxit

Wir schreiben den 12. September 1988. Wolfgang Biermann, der Generaldirektor des VEB Carl Zeiss Jena, überreicht dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in Berlin den ersten Ein-Megabit-Chip. Es handelt sich also um einen Chip, der eine Million Dateneinheiten speichern kann. Die DDR ist das erste Land des Ostblocks, das ein derart leistungsfähiges mikroelektronisches Bauteil herstellen kann.

Tatsächlich wurde diese damalige technische Pionierleistung von Wissenschaftlern und Arbeitern aus Dresden vollbracht. Schon 1961 hatte der Physiker Werner Hartmann hier die „Arbeitsstelle für Molekularelektronik“ (AME) gegründet und mit großem politischem Geschick beträchtliche staatliche Fördergelder und viel Personal für sein Projekt erwirkt.

Vom Silberabbau zur Mikroelektronik

Damit legte er den Grundstein für den heute europaweit größten Mikroelektronik-Cluster, der als „Silicon Saxony“ bekannt wurde und der mittlerweile aus 2.500 Unternehmen mit 75.000 Mitarbeitern besteht. Eine typisch sächsische Erfolgsgeschichte, die auf naturwissenschaftlichen und technologischen Spitzenleistungen beruht. Gerade weil die DDR-Forscher wegen des Embargos des Westens dazu gezwungen waren, alle Maschinen und Verfahren zur Halbleiterproduktion selbst zu entwickeln, galten sie als ungemein kreativ und improvisationsfähig. Ihr Fachwissen sorgte dafür, dass es auch nach dem Mauerfall mit der Mikroelektronik in Sachsen weiterging und Konzerne wie Siemens (Infineon) oder die US-amerikanische AMD Halbleiterfabriken in Dresden errichteten. Zuletzt verkündete sogar der taiwanische Branchenprimus TSMC im Sommer 2023, ein komplett neues Werk in der sächsischen Hauptstadt zu bauen.

Sachsen war schon immer ein Standort ersten Ranges. Nicht umsonst liegt hier die deutsche Pionierregion der Industrialisierung, deren erste Keime schon in den im Mittelalter und der frühen Neuzeit gegründeten Bergstädten im Erzgebirge mit ihrem durchorganisierten Silberabbau zu erahnen waren.

Sprudelnder Erfindergeist

Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im Zeitalter der Manufakturen mit der Entdeckung eines Verfahrens zur Herstellung von Hartporzellan durch den Chemiker und Alchemisten Johann Friedrich Böttger im Jahr 1710 in Meißen und sie kulminierte in der Transformation von Chemnitz, dem „sächsischen Manchester“, zur ersten echten deutschen Industriestadt in den Jahren nach 1800. Der Vogtländer Johann Andreas Schubert, Direktor der Technischen Bildungsanstalt Dresden, konzipierte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die „Saxonia“, die erste funktionstüchtige und in Deutschland gebaute Dampflokomotive. Außerdem entwarf und berechnete er die Göltzschtalbrücke, die bis heute größte Ziegelstein-Brücke der Welt. 1845 gründete Ferdinand Adolph Lange in Glashütte im sächsischen Müglitztal eine Uhrenfabrik, die bis heute Weltruf genießt. 1901 wurde im Dresdner Stadtteil Loschwitz die älteste und bis heute in ihrer Bauart einzige Bergschwebebahn der Welt in Betrieb genommen. Konrad Zuse, der Erfinder des Computers, baute schon während seiner Schulzeit in Hoyerswerda Automaten. Um die Jahrtausendwende herum entwickelte der Physiker Karl Leo an der Technischen Universität Dresden organische Leuchtdioden mit den weltweit niedrigsten Betriebsspannungen. Das Bewusstsein, im technischen Bereich und den Ingenieurswissenschaften immer eine Spitzenposition eingenommen zu haben, prägt wegen all dieser Erfindungen und Durchbrüchen völlig zurecht die landestypische Sonderform des Patriotismus.

Wirtschaftliche Korsettstange

Bis heute glänzt man beim Schulleistungsvergleich PISA, und zwar nicht nur als nationaler, sondern globaler Spitzenreiter im Bereich der Naturwissenschaften. Im Jahr 2008 belegte Sachsen nur knapp hinter Finnland den zweiten Platz vor Japan, Neuseeland und Australien. Das Gold in den Köpfen machte die Region schon immer zu einer wirtschaftlichen Korsettstange. Das war auch in der DDR so, wo die drei Bezirke Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt, die das im April 1952 aufgelöste Land Sachsen ersetzt hatten, bis in die späten Jahre ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes erwirtschafteten. 2022 stand Sachsen mit einem Bruttoinlandsprodukt von 146,5 Milliarden Euro an der Spitze der mitteldeutschen Flächenländer sowie vor den West-Ländern Hamburg, Schleswig-Holstein, Saarland und Bremen. In der EU würde man sich mit diesem Wert knapp hinter Ungarn, aber vor der Slowakei einreihen. Diese Entwicklung dürfte sich sogar noch beschleunigen. Laut einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie des „Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle“ (IWH) soll in Sachsen das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bis 2035 um 11,5 Prozent auf dann 33.563 Euro steigen. Damit liegt der Freistaat laut dieser Prognose beim Wirtschaftswachstum an der Spitze aller deutschen Bundesländer. Zwar zählt Sachsen im Länderfinanzausgleich derzeit noch zu den Nehmerländern, doch es ist jetzt schon absehbar, dass sich dieser Zustand ändern wird. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl erhält Sachsen schon jetzt geringere Zuwendungen aus dem Länderfinanzausgleich als Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin oder Bremen. Auch einzelne Regionen des Freistaats können mit Spitzenwerten glänzen. Laut einer Auswertung des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn zählt der Landkreis Görlitz – gemessen an den Existenzgründungen je 10.000 Einwohnern – zu den drei dynamischsten Gründungszentren der Republik. Das „Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung“ veröffentlichte im Jahr 2019 eine Studie, bei der alle bundesdeutschen Kreise und kreisfreien Städte der Bundesrepublik mit Blick auf ihre Zukunftsfähigkeit bewertet wurden: Unter den Top 15 konnte sich nur Dresden als einzige Region außerhalb Bayerns und Baden-Württembergs platzieren.

Geringe Schulden

An vielen Stellen holt der Freistaat also nicht nur ein, sondern überholt sogar schon, um ein Wort von Walter Ulbricht zu paraphrasieren. Dabei hilft ihm die unter den deutschen Ländern einmalige Solidität seiner Staatsfinanzen. Bei der Pro-Kopf-Verschuldung der Länder und Gemeinden belegte Sachsen zum Stichtag des 31. März 2023 den Spitzenplatz mit einem Wert von 2.107 Euro je Einwohner, gefolgt von Bayern mit 2.434 Euro und Baden-Württemberg mit dann schon 4.707 Euro. Dieser gute Wert ist die Frucht landeseigener Anstrengungen und kein Ergebnis des innerdeutschen Finanzausgleichs, wie ein weiterer Blick auf diese Statistik zeigt. So weist Sachsen-Anhalt pro Einwohner eine Verschuldung des Landes und der Gemeinden auf, die bei 12.040 Euro liegt und die damit fast sechsmal so hoch wie in Sachsen ist. Das ist bemerkenswert, denn dieses Bundesland profitierte seit der Wiedervereinigung genauso von innerdeutschen Finanztransfers wie der grün-weiße Freistaat.

Der sparsame Umgang des Staates mit den Geldern der Steuerzahler vergrößert die Spielräume der Politik und ermöglicht beispielsweise hohe staatliche Investitionsquoten. Eine Mehrzahl der Bundesländer will diesen steinigen Weg aber nicht gehen und labt sich lieber am süßen Gift der Verschuldung. Es besteht die Gefahr, dass Sachsen hier in nicht allzu ferner Zukunft in eine Zahlerposition gegenüber Ländern gerät, die – wie Berlin – mit geliehenem Geld Wohltaten für ihre Bevölkerung finanzieren, aber nicht an die Rückzahlung denken.

Sächsische Ausbildung: gegen den Abwärtstrend

Eines der besten Argumente für einen Säxit findet sich nach wie vor aber im Bildungsbereich. Der Freistaat liegt bei praktisch allen Länder-Rankings im Schulbereich vorne. Beim INSM Bildungsmonitor, bei dem anhand von 98 Indikatoren das Abschneiden eines Bundeslandes auf 13 abgegrenzten Handlungsfeldern von der Kita bis zur Hochschule bewertet wird, liegt Sachsen auch 2023 mit 63,4 Punkten auf dem Spitzenplatz vor Bayern mit 57,9 Punkten und Thüringen mit 55,3 Punkten. Während das deutsche Bildungssystem insgesamt ins Bodenlose abstürzt – laut einer neuen Unicef-Studie ist Deutschland mittlerweile neben Rumänien in Europa führend bei Kindern, die die Schule nicht schaffen – hält sich Sachsen noch wacker gegen den Trend. Das ist von überragender ökonomischer Bedeutung in einer Gesellschaft, in der Bildung und Wissen die wichtigsten Produktionsfaktoren sind. Ein Säxit wäre also auch ein wichtiger Schritt, um nicht in den Verfall des deutschen Bildungswesens hineingerissen zu werden. Eine eigenständige sächsische Hochschulpolitik könnte endlich wieder die richtigen Prioritäten setzen. Diese bestehen sicherlich nicht darin, dass es in Deutschland mittlerweile zwar 173 Lehrstühle für Genderforschung, aber nur noch acht Lehrstühle für Kernforschung gibt. Das sächsische „Genderkompetenzzentrum“ hat seit 2021 über 900.000 Euro Steuergelder verschwendet. Das im Sommer 2023 erlassene Verbot des Genderns an sächsischen Schulen geht immerhin zaghaft in die richtige Richtung.

Auch beim Blick auf die Automobilindustrie wird deutlich, welche Vorteile ein eigenständiger Staat hätte. In diesem Bereich weist Sachsen eine besonders große Tradition auf. Der ab 1926 in Zwickau hergestellte Horch 8 mit Achtzylinder-Reihenmotor gilt bis heute als eines der ganz großen Glanzlichter im frühen deutschen Automobilbau. Der 1904 von August Horch in der westsächsischen Stadt gegründete Hersteller war während der Weimarer Republik klarer Marktführer bei der Herstellung von Autos im Luxus-Segment vor Mercedes und Maybach.

Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise entstand hier 1932 durch die Fusion von Audi, Horch sowie der PKW-Sparte der Wanderer-Werke die in Chemnitz angesiedelte Auto Union AG. Sie war der erste staatliche deutsche Automobilkonzern und nach Opel auch der zweitgrößte PKW-Hersteller des Landes. Am Ende des Krieges erreichte Sachsen einen Anteil von 25 Prozent an der deutschen Fahrzeugproduktion.

Auto-Hochburg Sachsen in Gefahr

In der DDR wurde aus Horch dann der VEB (Volkseigene Betrieb) Sachsenring Zwickau, der durch die Produktion des „Trabis“ zu Weltruhm gelangte. Aus Audi entstand der VEB Automobilwerk Zwickau. Nach dem Mauerfall und dem Ende des Arbeiter-und-Bauern-Staates setzte sich insbesondere VW-Patriarch Ferdinand Piech, dessen Großvater Ferdinand Porsche in Zwickau die berühmten „Silberpfeile“ für die Auto-Union konstruiert hatte, für die Fortführung der PKW-Produktion in Sachsen ein.

Porsche, BMW und VW errichteten Werke in Leipzig, Dresden, Chemnitz und Zwickau. Genauso wichtig war das dichte Netz an leistungsfähigen Zulieferern, das beispielsweise insbesondere im Erzgebirge entstand. Der Automobilbau entwickelte sich mit insgesamt 95.000 Beschäftigten, davon 80 Prozent bei den Zulieferfirmen, zur umsatzstärksten Branche des Freistaats.

Doch diese Erfolgsgeschichte ist bedroht. Erst im September dieses Jahres verkündete VW einen Stellenabbau in Zwickau, da die Nachfrage nach E-Autos zu gering für die derzeitigen Produktionskapazitäten sei. Ein unabhängiges Sachsen könnte hier viel aktiver gegensteuern. So denkt beispielsweise die britische Regierung aktuell gerade über eine Lockerung des Verbrenner-Verbots nach. Eine in jedem Fall sinnvolle Maßnahme, schließlich will China bis 2060 auf Verbrennungsmotoren setzen. Aber London ist im Gegensatz zu Dresden eben unabhängig von Brüssel – und kann somit ganz eigene Akzente setzen.

Es ist höchste Zeit, die Notbremse zu ziehen – in einer Republik, die immer weniger Respekt vor föderalen Prinzipien zeigt, und einer EU, die fortlaufend gegen das Subsidiaritätsprinzip verstößt. Nur ein eigenständiges Sachsen kann seine Spitzenposition in der Innovationsfähigkeit, dem Schulwesen, den Naturwissenschaften wie auch im Hochschulbereich sichern. Je schneller der Säxit kommt, desto größer sind die Aussichten, dass der Freistaat seine guten Fundamente retten kann, bevor diese durch die bundesdeutsche Politik endgültig zerstört werden.

■ Arne Schimmer

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