Der Lyriker Rolf Schilling ist ein Solitär. der eine einzigartige Stellung in der deutschen Geschichte einnimmt. Foto: Privat.

Der Hüter der Schwelle

Rolf Schilling zum 75. Geburtstag

Der Lyriker Rolf Schilling, der heute seinen 75. Geburtstag feiert, zählte – ja, auch das gab es – zu einer rechten DDR-Opposition. Brisante Hintergründe, verschwiegene Tatsachen: In unserem Sonderheft „Die DDR – Geschichte eines anderen Deutschlands“ präsentieren wir Ihnen die Geschichte der DDR, wie Sie sie noch nicht kannten – garantiert! Hier bestellen!

Quedlinburg war zu DDR-Zeiten für die meisten Bundesbürger gefühlt weiter weg als Teneriffa oder die Toskana, obwohl die Stadt im Harzvorland nur zwei Dutzend Kilometer von der Zonengrenze entfernt lag. Hier hatte die deutsche Nationalgeschichte ihren Ausgang genommen, als im Jahr 919 Heinrich I. auf seiner Lieblingspfalz die Kunde von seiner hohen Kür zum König des Ostfrankenreiches überbracht wurde.

Im Mai 1981 lenkte eine Gruppe junger Männer aus Thüringen ihre Schritte durch das verwinkelte Zentrum des Ortes mit seinen verfallenden Fachwerkhäusern hin zum Schlossberg, der wie eh und je gekrönt von der Stiftskirche über einem Meer an spitzen Dächern und Türmen thronte. Als sie am Ziel angekommen waren, erhob der Anführer seine Stimme und trug einen Essay vor, in dem er geradezu ungeheuerliche Dinge äußerte.

Er beschwor mitten im Arbeiter- und Bauernstaat und ausgerechnet an diesem symbolhaften Platz ein „holdes Reich“, das „drei Elemente“ in sich trage, „das Nationale, das Irrationale und das Aristokratische“. Für den Lyriker Rolf Schilling blieb dieser Auftritt nicht folgenlos, die Stasi setzte zeitweise gleich zwei IMs auf ihn an. Zusätzliches Misstrauen erregte die intensive Korrespondenz des Dichters mit dem Autor Ernst Jünger, der in der DDR als „Faschist“ galt. 1987 wurde der operative Vorgang dann aber eingestellt, weil man bei „Horch und Guck“ erkannt hatte, dass Schillings Arbeiten im mythologischen und nicht im politischen Raum angesiedelt waren.

Messingstadt und Questen-Gesang

Wer – meist durch einen guten Zufall – an einen der Bände des Lyrikers und Essayisten Rolf Schilling gerät, der ist erst einmal beeindruckt und überrascht. Beeindruckt, weil dessen Lyrik beweist, dass der schon ausgetrocknet geglaubte Brunnen der Sprache doch noch Wasser führt, wenn man nur tief genug bohrt. Überrascht ist man, weil der Schöpfer dieser Gedichte im Kulturbetrieb ein nahezu Unbekannter geblieben ist. Letzteres wirft allerdings nur ein schlechtes Licht auf den miserablen Zustand des deutschen Feuilletons, denn die besten Gedichte dieses Autors sind so einprägsam wie Georges „Komm in den totgesagten Park“ oder Benns „Nur zwei Dinge“. Sie müssten eigentlich schon längst in den Pantheon deutscher Dichtung aufgestiegen sein – wenn, ja wenn wir nicht in einer Gegenwart leben würden, die der verfeinerten Kunst der Lyrik wohl so abträglich wie keine andere Zeit seit mehreren Jahrhunderten mehr ist. So ist Schillings Gedicht „Die Messingstadt“, das Ernst Jünger gewidmet und in dem Band „Questen-Gesang“ enthalten ist, eines der schönsten deutschen Gedichte über das Thema der Vergänglichkeit:

„Wir lasen auf den Tafeln der Kalifen:/

Tritt ein und schweig – ich bin die Messingstadt./

Das Tiger-Band gezackter Hieroglyphen/

Spricht: Was auf Erden wallt, was Flügel hat,/

Kehrt lichtgestillt zurück in meine Tiefen:/

Dschinn, Marduk, Seraphim, der Fahrten satt/

Vlies, Urne, Gral: die Asche aller Gestern/

Bewahrt der Stein in seinen Schweige-Nestern…“

Wo kommt jemand her, der noch so stolz und prächtig dichtet? Rolf Schilling wird am 11. April 1950 in Nordhausen am Harz, in der „Goldenen Aue“, der Ebene rund um den Kyffhäuser, geboren. Das Romantische, Heroische und Mythische, zu dem er sich früh hingezogen fühlt, wird im Arbeiter- und Bauernstaat argwöhnisch beaufsichtigt oder gleich ganz verboten. Was macht aber jemand, der solche geistigen Neigungen pflegt und sich trotzdem in der DDR der 70er und 80er Jahre verwirklichen will? Er spricht ein trotziges „Dennoch“ und fängt an, tätig zu werden und zu schaffen – auch wenn es so gut wie keine Chancen auf Veröffentlichung gibt. So hält es Rolf Schilling, dessen frühe, seit 1968 entstandenen Gedichte im Band „Scharlach und Schwan“ vorliegen und der Ende der 70er Jahre von einem regelrechten lyrischen Schaffensrausch erfasst wird, von dem der Band „Stunde des Widders“ zeugt. In den frühen 80er Jahren beginnt Schilling einen Briefwechsel mit Ernst Jünger, der nur über abenteuerliche Umwege zustande kommen kann.

75 Jahre DDR

Der DDR-Dissident kann mit dem „In Stahlgewittern“-Autor, der im offiziellen Kulturbetrieb des Arbeiter- und Bauernstaates als „Wegbereiter des Faschismus“ geächtet ist, nur über den Mittelsmann Stephan Hermlin korrespondieren. Dieser ist einer der wenigen Fürsprecher Jüngers innerhalb der offiziellen DDR-Literatur. Seine Stellung ist so privilegiert, dass er mit jedem Briefe tauschen darf. Ernst Jünger seinerseits ließ an seiner Hochschätzung Schillings nie einen Zweifel, er erwähnt ihn mehrfach in seinen Alterstagebüchern „Siebzig verweht“ und notiert: „Rolf Schillings Gedichte könnte kein anderer geschrieben haben als er; das ist das Kennzeichen der Autorschaft. Die Ängste, vielleicht auch die Hoffnungen der Wind- und Wolfszeit sind ihm vertraut. (…) Ich las sie mit dem Genuß und der Trauer eines Rückwanderers in die klassische Welt. Sie halten sich im Interregnum: die alten Götter sind entschwunden; zwischen Gräbern und Ruinen sind nur noch die Schatten zu sehen.“

Traum, Rausch, Mythos

In den unmittelbaren Jahren nach der Wende, in denen für eine ganz kurze Zeit nicht ganz klar ist, wo die Reise politisch und kulturell hingehen wird, scheint auch Schilling seinen Durchbruch zu erleben. Der Jünger-Biograf und „Welt“-Redakteur Heimo Schwilk und der Literaturkritiker Karl Corino, der die Gedichte des Thüringers noch zu Zeiten der Teilung im „Hessischen Rundfunk“ besprach, suchen seine Nähe. 1991 schließlich bringt Schilling den Gedichtband „Tage der Götter“ heraus, der von Arno Breker noch kurz vor dessen Tod illustriert wurde. Ab 1990 kann auch eine Werkausgabe von Schilling in Uwe Lammlas „Edition Arnshaugk“ erscheinen; die braun eingebundenen Bände mit der Goldschrift sind bibliophile Prachtstücke.

Trotz all dieser zwischenzeitlichen Zuwendung ist Schilling in Deutschland ein letztlich weithin unbekannter Solitär geblieben – was wieder einmal die Weisheit bestätigt, dass der Prophet im eigenen Lande nichts gilt. Woran liegt das? Schillings Werk ist klassisch in Form und Maß. Schon dadurch –  und durch die Bescheidenheit des Autors, der alle Formen der Selbstvermarktung ablehnt – steht es in einem schroffen Gegensatz zu dem lärmenden Jahrmarkt der Eitelkeiten, den der Literaturbetrieb bildet. In seinen Essays, in denen Schilling sich mit Traum und Rausch, mit der Astrologie und der Symbolik, aber auch mit der Frage „Was ist deutsch?“ auseinandersetzt, vertritt er Auffassungen, die im glatten Gegensatz zum Zeitgeist stehen. Zu total und vernichtend ist seine Zivilisationskritik in einem Essay wie „Das verweigerte Opfer“, zu stark die Bezugnahme auf das vorchristliche Erbe Europas, als dass er noch eine Chance hätte, im zeitgenössischen Feuilleton zu landen. Zum Glück ficht das alles den Autor wenig an.

Uwe Nolte und Rolf Schilling. Beide bilden seit mehr als 20 Jahren ein hochproduktives, künstlerisches Gespann. Foto: Privat.

Man könnte den mitteldeutschen Lyriker als Hüter einer Schwelle bezeichnen, die in das Elementare, Eigene und Eigentliche führt, in einen lyrischen „hortus conclusus“, den von der Welt verborgenen Garten. Der einstige DDR-Dissident besingt dort Stechapfel und Tigerlilie, Skorpion und Skarabäus. Im ganz Kleinen, dem Mikrokosmos der Natur, spiegelt sich für Schilling auch das ganz Große, der Makrokosmos. Die Zusammenarbeit des Dichters mit Uwe Nolte, Kopf der Musikgruppen „Orplid“ und „Barditus“ und selbst ein Lyriker von Graden und Gnaden, führte schon 2006 zu einem unvergesslichen Abend in der Krypta des Leipziger Völkerschlachtdenkmals.

Damals trat Schilling im Rahmen des „Wave-Gotik-Treffen“ gemeinsam mit „Orplid“ auf und las Lyrik und seinen Essay „Geheimes Deutschland“ vor. Außerdem entstanden seither das gemeinsame Hörbuch „Gesang überm Quell“ sowie zahlreiche Vertonungen von Werken Schillings durch seinen kongenialen Partner Uwe Nolte. Einige von Schillings schönsten Gedichten finden sich in dem erwähnten Hörbuch, so auch der „Gesang an den Horusfalken“, der im Band „Stunde des Widders“ erschien:

…Falke, mein Falke, dem Untergang einsam geweihter/

Flieger im dämmernden Reich, wo das Licht uns verriet,/

Aller Gestürzten im Abendwind letzter Begleiter,/

Sagen-verbannt, wenn die sinkende Stunde dich flieht:/

Fliege voraus in den Traum über schimmernde Stufen,/

Fern dann dem Himmel, der einst unser Sterbliches trug,/

Bist du zum Scheitern bereit, wenn die Boten dich rufen,/

Blutigen Fittichs zum ewigen Nachtgefild-Flug.

Arne Schimmer

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