Horst Mahler und Christian Worch bei einer Demonstration in Leipzig 2001. Foto: Von Herder3 - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0.
Horst Mahler und Christian Worch am 1. September 2001 in Leipzig. Foto: Von Herder3 - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0.

AfD-Verbotsdebatte: Rückblick auf die NPD-Verfahren

Vom „Aufstand der Anständigen“ zum Debakel der Dilettanten

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Dies ist der erste Teil einer zweiteiligen Folge.

Nach der Einstufung der Bundes-AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ist eine weitere Debatte über ein Verbot der Partei losgebrochen. Wie schwierig ein solches Verbotsverfahren für die Antragsteller werden würde, macht schon ein Blick auf die beiden NPD-Verbotsverfahren deutlich, die das Thema dieser zweiteiligen Artikelserie sind.

Am 18. März 2003 trat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) mit zutiefst vergrätzter Miene vor die versammelte Presse. Soeben hatte das Karlsruher Bundesverfassungsgericht das erste Verbotsverfahren gegen die NPD eingestellt, ohne dass dieses überhaupt in die mündliche Verhandlung gegangen wäre. Einer „irrigen Rechtsauffassung“ würden die Rotroben anhängen, scholt Schily aufgebracht. Das Verfassungsgericht habe „unerfüllbare“ Bedingungen für einen zweiten Anlauf gestellt, grummelte der frühere Grünen-Politiker und SBS-Anwalt weiter. Daraus ergebe sich eine „Sperrwirkung“ für einen neuen Verbotsantrag. Ganz ähnlich hörte sich der bayerische Innenminister Günter Beckstein, der im Spätsommer 2000 die NPD-Verbotsdebatte erst so richtig ins Rollen gebracht hatte, an. „Das schärfste Schwert der wehrhaften Demokratie, das Parteiverbot, steht wegen der Haltung der Sperrminorität im Bundesverfassungsgericht künftig nur unter so schwierigen Voraussetzungen zur Verfügung, dass sein Einsatz kaum noch möglich erscheint“, greinte der CSU-Politiker.

Massenhysterie und „Aufstand der Anständigen“

Wie aber hatte es überhaupt so weit kommen können? Eines fällt jedenfalls auf: Im Sommer 2000 flüchtete sich eine rot-grüne Regierung als Antwort auf eine hausgemachte Krise in die innenpolitische Kriegserklärung „gegen Rechts“. Einen wirklich belastbaren Auslöser brauchte man dafür nicht. Das zeigt auch der Blick auf die Ereignisse vor einem knappen Vierteljahrhundert: Am 2. Oktober 2000 wurde ein Brandanschlag auf die Neue Synagoge in Düsseldorf verübt. Es entstanden nur leichte Schäden im Eingangsbereich. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder nutzte den Vorfall aber für eine weitreichende innenpolitische Kriegserklärung. Bei einem Vor-Ort-Termin am 4. Oktober rief er seinen „Aufstand der Anständigen“ aus, der seitdem zum geflügelten Wort geworden ist. Die Stoßrichtung seiner Erklärung richtete sich ausschließlich gegen das patriotische Spektrum in Deutschland, obwohl es sich bei den Tätern, die von der Polizei schnell ermittelt werden konnten, um zwei Araber handelte.

Kundgebung der sächsischen NPD zum 17. Juni 1953 im Jahr 2012. Foto: Privat.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich Deutschland allerdings schon im Würgegriff einer Massenhysterie, wie man sie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht kannte. Am 27. Juli 2000 hatte es einen Sprengstoffanschlag am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn gegeben, bei dem zehn Menschen verletzt wurden, die meisten davon jüdische Kontingentflüchtlinge aus Osteuropa. Obwohl die Tat bis heute nie aufgeklärt werden konnte und nicht auch nur eine einzige Spur in diesem Fall in Richtung NPD wies, wurde der Anschlag zum eigentlichen Trigger des ersten Verbotsverfahrens gegen die 1964 in Hannover gegründete Rechtspartei. Am 1. August 2000 meldete sich Günter Beckstein in mehreren Medien als Befürworter eines NPD-Verbots zu Wort, wobei er nicht ohne eine große Portion Selbststilisierung auskam. Er fühle sich, als stehe er „allein auf der Zugspitze in einem Orkan“, dabei wusste der aus Franken stammende Innenpolitiker ganz genau, dass er offene Türen einrennen würde.

Mahler, Schily, Ströbele – eine deutsche Geschichte

Absehbar war nämlich gewesen, dass die SPD sich beim Thema Antifaschismus von keinem Unionspolitiker überholen lassen würde. Es dauerte nur etwa zwei Wochen und es gab im Spektrum der etablierten Parteien außerhalb der FDP praktisch keinen Kritiker eines NPD-Verbotsverfahrens mehr – selbst die Republikaner wollten sich nun nicht mehr diesem allumfassenden Konsens verschließen. Die Debatte darüber war längst ein Selbstläufer sowie das Musterbeispiel eines politischen Sommertheaters wie auch einer gefährlichen und kryptototalitären Massenhysterie geworden. Bald gab es mit Blick auf die ausufernden Repressionen gegen Rechts, die verlangt wurden, überhaupt gar keine Grenzen mehr. So sorgte beispielsweise der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck mit der Forderung für Aufsehen, rechtsextremistische Straftäter mit einem 15jährigen Fahrverbot (!) zu belegen.

AUFGEWACHT Sonderheft Verbote

Mit einer Phalanx aller drei antragsberechtigten Verfassungsorgane – Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung – sollte das Verfassungsgericht in Karlsruhe mit gleich drei Anträgen von der Notwendigkeit der Verbotsinitiative überzeugt werden. Aber auch die NPD sorgte mit der Wahl ihrer Anwälte mächtig für Schlagzeilen. Neben Hans Günter Eisenecker wurde Horst Mahler zum Prozessbevollmächtigten der Partei ernannt. Dieser war erst einer der wichtigsten Protagonisten und Juristen der 68er-Studentenrevolte gewesen, um dann wenig später als Gründer der RAF für Furore zu sorgen. Seine Gegenspieler waren ausgerechnet Bundesinnenminister Otto Schily, der 30 Jahre zuvor noch Mahlers Anwalt gewesen war, und der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele.

Dieser war damals auffälligster Akteur im Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestags zur Aufsicht über die Geheimdienste und  hatte 1969 in Berlin gemeinsam mit Mahler das Sozialistische Anwaltskollektiv gegründet. Diese Kombination, die auch in dem 2009 erschienenen und sehr sehenswerten Dokumentarfilm „Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte“ thematisiert wurde, sorgte für gigantisches Medieninteresse. Als am 30. Januar 2001 der Antrag der Bundesregierung in Karlsruhe einging, rechneten fast alle Beobachter mit einem raschen Verbot der NPD. Am 12 Mai 2001 kündigte sich dann aber das V-Mann-Debakel der Antragsteller an. Die „Thüringer Allgemeine“ berichtete, der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Tino Brandt habe dem thüringischen Landesamt als Informant gedient und dafür Honorare in sechsstelliger Höhe kassiert.

Ein Jahrzehnt später stellte sich dann noch heraus, dass Brandt auch eine Schlüsselrolle in dem bis heute völlig unaufgeklärten NSU-Geheimdienstkomplex gespielt hatte. Am 22. Januar 2002 platzte dann eine Bombe, die zumindest auf kritische Bürger durchaus verstörend gewirkt haben dürfte. Das Bundesverfassungsgericht setzte völlig überraschend die Termine zur mündlichen Verhandlung ab, da zunächst „prozessuale und materielle Rechtsfragen“ zu klären wären.

Arne Schimmer

Der zweite Teil dieses Beitrags wird demnächst veröffentlicht.

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